27. Mai 2023:
„Liebe hat zwei Gesichter ( The Mirror Has Two Faces)“, (1996, 126 Min.)
Regie: Barbara Streisand, Drehbuch: Richard LaGravenese

Barbara Streisand wollte in diesem Film eine Komödie machen, die geistreich, witzig und romantisch ist, mit vielen Gesprächen und Tiefgang, in der sich alle beteiligten Menschen entwickeln können. Sie will zeigen, wie wir Menschen uns besser verstehen lernen, uns von den beeinträchtigenden Eindrücken ablösen können, die wir aus den Erlebnissen mit unseren Eltern abgeleitet haben, wie wir einander innerlich näher kommen können und dabei Selbstvertrauen gewinnen.
Streisand wollte im Film die Liebe zwischen Mann und Frau in allen Formen und Gesichtern zeigen: wie sich – auch unsichere – Menschen verlieben können, wie man sich darauf aufbauend kennenlernt, wie es aussehen kann, geliebt zu werden, wie man Liebe akzeptieren lernt und erkennt, dass es sich dabei um eine Entdeckungsreise der Liebenden handelt, was letztendlich beglückend ist, wenn man sich dabei richtig kennenlernt, was bei Missverständnissen jedoch zwischendurch traurig machen kann. Leidenschaft, Erotik und Sexualität sind dann ein wichtiges Gesicht der Liebe, wenn darin innige Freundschaft, Geborgenheit sowie geistige und emotionale Verbundenheit zum Ausdruck kommt. Sie ist nicht das Gegenteil von Freundschaft, sondern ist Ausdruck davon und ermöglicht es, die gegenseitige Zugehörigkeit zu vertiefen. So wie es Christoph Joseph Ahlers in seinem Buch «Vom Himmel auf Erden. Was Sexualität für uns bedeutet» so einfühlsam und inspirierend dargestellt hat. Streisand macht darauf aufmerksam, dass im Mittelalter Sexualität von der innigen Liebe abgetrennt wurde. Sie wendet sich gegen den äusserlichen Schönheitskult und will nahebringen, dass jeder Mensch schön wird, wenn er sich verbunden fühlt, die Minderwertigkeitsgefühle überwindet, das eigene Selbstverständnis verändert, sich für andere Menschen bedeutsam fühlt, sich damit selbst lieben kann. Und zeigt auf, dass eine erfüllende Partnerschaft möglich ist, wenn weder Leidenschaft, Erotik und Sexualität ausgeschaltet werden noch der emotionale und gedankliche Austausch, sondern alles zusammen das gemeinsame Leben bereichert.
Die Komik in diesem Film soll immer einen ernsten Hintergrund haben, nämlich die Probleme in der Liebesfrage zu erkennen. Diese Probleme werden gradlinig und direkt angegangen.
Dafür dient die Entwicklung einer Liebesbeziehung zwischen dem Mathematikprofessor Gregory Larkin (Jeff Bridges) und der Literaturprofessorin Rose Morgan (Barbara Streisand).
Der attraktive, etwas linkische und humorlose Gregory hat sich vorgenommen, Leidenschaft, Erotik und Sexualität aus einer Liebesbeziehung von Frau und Mann herauszuhalten, weil er aus seinen bisherigen Erfahrungen mit Frauen ableitete, körperliche Annäherung und Sexualität würde das Zusammenleben eines Paares verkomplizieren, eine innige und intellektuell inspirierende Verbindung beeinträchtigen, ja sogar zerstören sowie schmerzhaft sein und einen verrückt machen. Er versucht sich damit zu erklären, warum verschiedene interessante Frauen ihn verlassen hatten. Und legte sich fälschlicherweise zurecht, dass Sexualität nur der Fortpflanzung diene und sich Menschen genauso wie Bäume auch berühren könnten, ohne ineinander zu kommen.
Tatsächlich ist er ein sehr aufmerksamer, zugewandter und freundschaftlicher Mann, der sich an der Art des anderen erfreuen kann, zum Beispiel daran, wie Rose ihren Salat isst. Er erkennt und schätzt die Fähigkeiten seiner Partnerin, beispielsweise ihre Fähigkeit, ihre Studenten in der Vorlesung zu begeistern. Er lässt sich auch gerne von seiner Partnerin anleiten und lernt mit Interesse von ihr, beispielsweise wie er seine Vorlesungen interessanter gestalten kann – ohne ein Problem mit seinem Prestige zu haben. Er schützt sie spontan und elegant vor Kritik von anderen wie ihrer Mutter und steht in allem ganz auf ihrer Seite. Zudem nimmt er lebhaft Anteil an ihrem Leben, versucht ihr das Leben zu erleichtern, mit ihr zusammen gemeinsame Interessen zu pflegen und sich über alle Fragen des Lebens auszutauschen.
Er begegnet ihr also mit grossem Respekt, Zuneigung und Vertrauen.
Rose ist ebenfalls eine geistreiche, charmante Frau; von den Männern zwar geliebt und geschätzt, jedoch mangels erotischer Ausstrahlung nie wirklich begehrt. Ein ehemaliger Partner heiratete ihre schöne Schwester, die immer darauf bedacht ist, bei Männern erotisch anzukommen, die sich aber schnell bedrängt fühlt und den Mann zurückstösst, wenn sich dieser offensichtlich um sie bemüht. Rose träumt zwar vom Verliebtsein und Lieben, von der Vereinigung der Seelen und der Möglichkeit gemeinsam über sich hinauszuwachsen, ist sich aber sicher, dass sie nicht attraktiv ist und sich damit abfinden muss, diese innigen Erlebnisse nicht zu erfahren, weder in einer Partnerschaft noch wenigstens im Verliebtsein.
Rose lebt bei ihrer Mutter, die ihr Leben lang ihre Schönheit gepflegt hat, um bei den Männern anzukommen und sich damit nur um sich drehte. Sie lehnt die intellektuellen Fähigkeiten ihrer Tochter als untauglich fürs Leben ab, kritisiert sie ständig und konkurrenziert ihre Tochter sogar bei Gregory. Die Mutter ist deshalb innerlich leer und unglücklich, weil sie im Leben nie jemanden wirklich lieben konnte. Rose bespricht mit ihrer Mutter, wie sie von ihr nicht geliebt wurde. Ihre Mutter lässt sich davon berühren und erklärt ihr, dass sie von ihrem Vater heiss geliebt war und sie ein sehr freudiges und schönes Kind war. In dieser Auseinandersetzung beginnt Rose sich insgesamt immer attraktiver zu finden. Diesen Einblick in eine andere Gefühls- und Denkwelt vermittelt sie auch Gregory, so dass sie die gesamten Erlebensmöglichkeiten einer Liebe mitsamt Leidenschaft und innigem Gespräch ausschöpfen können.


