« Zögern – Hinausschieben – Vertagen: Was tun?»
Vortrag von lic. phil. Diethelm Raff, Psychologe.
Viele Menschen leiden darunter, dass sie nicht ausdauernd, konzentriert und schnell genug vorankommen können, sogar bei Tätigkeiten, die ihnen eigentlich gefallen oder die unbedingt gemacht werden müssen. Viele haben einen Plan gemacht, die Zeiten aufgeteilt, Pausen eingebaut, genau überlegt, was zuerst kommen soll und was später, haben sich mit anderen abgesprochen und die Arbeit in kleine Einheiten aufgeteilt, die Essenszeiten bestimmt und doch klappt die Sache nicht. Zum Beispiel sollte ein Text abgegeben werden, aber es geht nicht vorwärts, weil man an den Worten herumfeilt, erst noch den Anfang des Textes verbessert anstatt weiterzuschreiben, unbedingt noch schnell das sms beantwortet, den Tisch erst aufräumen muss, noch etwas zu trinken braucht, die Nägel feilen muss, die Brille putzen, mit dem Kollegen noch kurz schreiben, ein Filmchen schauen oder ein paar Pilates-Übungen machen, ein bisschen Musik hören, um in eine bessere Stimmung zu kommen, vielleicht auch noch kurz etwas einkaufen oder sogar etwas backen und zum Schluss wird einer müde und schläft kurz seinen power-nap oder unterstreicht erst mal das Wichtigste bevor es weitergeht oder liest noch etwas in Wikipedia zu einem angrenzenden Gebiet.
Aber man kann sich auch erst gar nicht an die Sache hinsetzen, weil es noch viele wichtige Dinge vorher zu tun gibt: Blumen giessen, die Ferien vorbereiten, Maschine ausräumen oder einräumen, sich über Sonderangebote informieren, gesund kochen – was leider etwas länger braucht- , aber dafür gut für die Konzentration ist.
Es kann aber auch sein, dass man sich, bevor man anfängt, schon Gedanken macht, was alles auf einen zukommt und sich hintersinnt und schlechte Stimmung aufbaut, so dass man seine Aufgabe lieber auf den nächsten Tag verschiebt, an dem man hofft, eine bessere Stimmung oder schöneres Wetter vorzufinden. Oder man verschiebt die Arbeit auf eine andere Tageszeit, in der der Biorhythmus besser sein soll. Man kann sich lange fragen, ob etwas nicht zu schwer ist, kann sich trösten lassen von anderen und sich gute Ratschläge holen – ohne anzufangen.
Fast jeder und jede weiss, wie gut man sich ablenken und immer gut begründen kann, warum man jetzt nicht anfängt oder nicht weitermacht. Viele lehnen sich zusätzlich dafür ab, dass sie nie ideal vorankommen. Die einen sind froh, wenn sie im home-office nicht so stark kontrolliert werden oder ärgern sich, dass man sich alleine antreiben soll, andere quetschen sich im letzten Moment noch gekonnt viele Informationen zusammen oder haben am Schluss einen klaren Kopf in der sicheren Überzeugung, dass es doch noch ganz gut geworden ist – angesichts der knappen Zeit. Und andere enden mit einer grossen Nervosität, nachdem die «deadline» immer näher gerückt war und es kein Entrinnen mehr gab, dass etwas fertig werden musste und dafür auch eine Nachtschicht herhalten musste. Manche wollen dann dieses Hinausschieben oder Prokrastinieren, diesem mangelhafte Zeitmanagement oder falscher Prioritätensetzung damit begegnen, dass man sich genau an eine Vorgabe hält. Manchmal hilft das auch, oft aber auch nicht.
Psychologisch gesehen geht es auch in diesem Verhalten vorrangig darum, was für Haltungen zum Leben dieses Hinausschieben und Verzögern ausmachen. Wir können dies bei jedem Einzelnen in seiner Lebensgeschichte nachvollziehen, die dazu geführt hat, dass man das Leben teilweise und unbewusst auf eine untaugliche Art anpackt.
So kann es sein, dass sich jemand immer damit beschäftigen muss, alles zuerst darauf zu untersuchen, ob eine Aufgabe schnell zu machen ist. Kann er es sicherlich nicht schnell genug machen, vergeht ihm die Lust, wird müde, lässt sich ablenken.
Ein anderer freut sich an jedem kleinen Erfolg und verbleibt dabei, womit er verhindern kann, dass befürchtete Misserfolge eintreten. Ein Dritter zögert, die Ausbildung abzuschliessen, weil er sich das Berufsleben nicht vorstellen kann. Ein Vierter hat Erfolg beim anderen Geschlecht oder bei Freunden, ist besser geübt, doch ist er angespannt, sobald er eine Aufgabe alleine lösen sollte, weil er da nie sicher ist, ob es gut geht. Ein Fünfter hat Angst vor Kritik und vermeidet es, dass er einen Fehler machen kann und schiebt deshalb alles hinaus. Ein Sechster sucht ständig danach, ob ihm jemand etwas abnehmen kann, weil er das besonders gut erlebt.
Wenn wir also einen Ausweg für dieses Zögern und Hinausschieben finden wollen, müssen wir die individuellen Gründe dafür herausarbeiten und sie hinterfragen.
Wir werden im Vortrag ausführlich Gelegenheit haben darüber zu sprechen.
Weitere Vorträge 2021:
5. Okt: Wie überwindet man die Ungeduld als Erzieher und als Lehrperson?
9. Nov: Schüchtern – zurückhaltend – vorsichtig: Auswege
7. Dez: Wie kann mehr Lebensmut als Grundlage von Glück und Zufriedenheit entstehen?