«Der Junge muss an die frische Luft» (2018, 100 Min. ) Regie: Caroline Link
Der Film beruht auf der gleichnamigen Autobiographie des Komikers Hape Kerkeling: «Der Junge muss an die frische Luft – Meine Kindheit und ich» (2014)
Die offene Darstellung der Familiengeschichte ermöglicht einen wertvollen Einblick in das Werden von Kerkelings Gefühlswelt in den ersten Lebensjahren. Und der Film lässt erahnen, welche Schlüsse Kerkeling aufgrund der frühen Kindheits-Eindrücke unbewusst gezogen hat.
Die Autobiographie gibt einige Hinweise dafür, was und welche Menschen Kerkeling beeindruckt und was er sich in den ersten Lebensjahren bewusst vorgenommen hat. Zusätzlich gibt die Autobiographie einen Einblick, wie sich die Erlebnisse verschiedener Generationen auf die Erziehung und das gesamte Lebensgefühl auswirken, insbesondere wie sich Krieg und Diktatur über die Erziehung in der Gefühlswelt kommender Generationen niederschlägt.
Kerkeling wächst ab 1964 in eine Familie im deutschen Ruhrgebiet hinein, mit einem erfolgreichen Vater, der als Schreiner in verschiedenen Städten Bars und Nachtclubs einrichtet und höchstens am Wochenende zu Hause ist, einer unbekümmerten Mutter, seinem 8 Jahre älteren Bruder Josef – im Haus der Grosseltern väterlicherseits. Kerkelings Vater Heinz ist immer heiter und hat ihn zeitlebens nie angeschrien, geschweige denn geschlagen. Dieser Vater ist einziger Sohn der herzensguten, zupackenden, ausgleichenden, lebenspraktischen und tiefgläubigen Grossmutter Bertha und eines liebevollen, aber sehr schweigsamen und zurückhaltenden Grossvaters Hermann.
Kerkelings Vater Heinz ist lebenslustig, macht viel Faxen, imitiert alles, erfindet jede Woche eine neue Sprache und bringt dadurch Kerkelings Mutter Margret immer zum Lachen. Margret ist die Jüngste von 3 Geschwistern der übermächtigen, extrovertierten, herrschsüchtigen, traditionsbewussten Oma Änne. Kerkelings Mutter Margret erwartete nach 2 Fehlgeburten ein herziges Mädchen und hatte keinen Jungennamen vorbereitet und gebar Hape. Die Oma Änne war wie so oft beleidigt, weil ihre Tochter sich ihr das erste Mal im Leben bei der Wahl des Ehepartners verweigert hatte und das zweite Mal bei der Geburt ihres Sohnes Hape, denn der Enkel kam nicht im vorbestimmten Zimmer der Oma zur Welt, sondern im Spital. Deshalb wollte Oma Änne erst nach einem halben Jahr ihren Enkel Hape kennenlernen. Dieser ersetzte für diese dann ihren geliebten Sohn Willi, der ein halbes Jahr vor der Geburt Hapes als erfolgreicher Fahrlehrer an einem Autounfall gestorben war – mit einer schwangeren Freundin, die von Hapes Oma Änne nicht akzeptiert worden war. Hape Kerkeling jedoch erlebte diese Oma Änne auch als spannende und grossherzige Frau, deren Ehrgeiz und Durchsetzungsvermögen er bewunderte und auch sich zugeschrieben hat. Diese traditionsbewusste Änne fand fast alle Menschen blöd, genoss es jedoch, diese in ihrem königlichem Auftreten dazu zu bringen, sie zu bewundern.
Hapes Mutter Margret verwirklichte sich als Floristin im Garten der Schwiegereltern. Sie half täglich im Laden der Oma Änne mit, wo Hape immer willkommen und von der Kundschaft geliebt war, die er mit witzigen Sprüchen und mit Imitationen anderer Kundinnen erfreute. Auch die Schwester der Grossmutter Bertha,, Lore, vermittelte Hape vom 1. bis 4. Lebensjahr täglich ab 15 Uhr ein fröhliches, gesprächiges und leichtes Leben in der Natur, unter dem Motto: «Der Junge muss an die frische Luft». Genauso kümmerte sich ein Künstler in der Nachbarschaft um ihn. Der so genannte «Boss» der Familie, die alles erzwingende Oma Änne, fuhr mit den 2 Brüdern und 2 älteren Cousins fast jedes Wochenende 2 Tage lang weg, ohne sich je mit den Eltern abzusprechen. Hapes Mutter wehrte sich nie dagegen. Kerkeling war jederzeit umsorgt, so dass er erst mit 3 Jahren laufen lernte. Alle um ihn herum hatten zudem den Aberglauben, dass aus ihm etwas Besonderes werden müsste, da er von der falsch eingesetzten Geburtszange ein besonderes eindrückliches Mal an seinem Handgelenk hatte. Insbesondere betonte dies seine Oma Änne. Hape setzte von Anfang an alles daran, wie sein Vater andere Menschen zum Lachen zu bringen. Dies wurde aber auch oft sehr anstrengend für ihn.
Als Kerkeling 6jährig war, kaufte Kerkelings Vater das sanierungsbedürftige Mehrfamilienhaus seiner Schwiegereltern und sie zogen trotz Warnungen der Grossmutter Bertha zu der besitzergreifenden Oma Änne. Kerkelings Mutter kehrte ganz ins fremdbestimmte Leben zurück, musste viele Aufgaben übernehmen, zeigte sich zunehmend überfordert und verzweifelte an diesem schweren Leben. Hape versuchte sie mit aller Kraft durch viele humoristische Einlagen zum Lachen zu bringen und sie zu erfreuen, was ihm jedoch immer öfter nicht gelang und er dann – nach dem Tod der Oma Änne – ab seinem Schuleintritt mit seiner depressiven Mutter oft alleine und in sich gekehrt war. Seine ständige Anstrengung im Leben – trotz seinem grossen Erfolg als Komiker in Deutschland – zeigte sich darin, dass er sich 2014 vom TV verabschiedete und meinte, er hätte nie sich selbst sein können und wäre benutzt worden. Man erkennt genau, wie eine solche Anstrengung im Leben entstehen kann.