Autor: Diethelm Raff

• Studium der Psychologie, der Psychopathologie und der Pädagogik an der Universität Zürich mit Abschluss 1989 als lic.phil. • Eigene psychologische Praxis für Einzel- und Paartherapie, Erziehungsberatung • Regelmässige Vorträge zu Erziehungsfragen, Schwierigkeiten in der Partnerschaft, Lern- und Studienproblemen und zu anderen psychologischen Fragen seit 1989

Interesse und Freude am Mitmenschen

Jeder Mensch möchte gerne gut mit dem anderen auskommen. Dies fällt einem vielleicht manchmal schwer zu glauben, weil es so nahe liegt, schlecht über uns selbst und andere zu denken. Man wird selber schnell ärgerlich, ein anderer schimpft böse, oder ein Kind tut nicht so, wie man gerne hätte. Es ist die Errungenschaft der Psychologie, dass alle diese Phänomene verstehbar geworden sind. Wenn man sie verstehen und die Menschen mit ihren Beweggründen kennenlernt, wird deutlich, dass jeder Mensch im Grunde die Verbundenheit zum anderen sucht.

Der Mensch ist kein Mysterium. Das Kind kommt auf die Welt mit der angeborenen Neigung, die Verbindung zu seiner Mutter wie auch zu den anderen Menschen zu suchen. Nebst dieser Neigung, so weiss man durch die heutige Forschung, gibt es keine genetischen Anlagen, die einen Charakter vorbedingen würden. Das neugeborene Kind ist auf seine Eltern ausgerichtet und darauf vorbereitet, in den nächsten paar Jahren zu lernen, wie die Welt funktioniert und wie man sich darin am besten bewegt.

Es entwickelt ein teils bewusstes, teils unbewusstes Bild von der Welt, von den Menschen und von sich selbst. Wenn wir uns später fragen, wieso sich jemand anders verhält als wir erwartet haben, zum Beispiel wieso ein Kind nicht folgen will oder wieso wir einander verpassen und im Streit enden – obwohl es keiner möchte –,  dann liegt die Antwort immer in der Erforschung dieser Gefühlslage und Weltvorstellung, die sich bei einem Menschen in der Kindheit gebildet hat. Der sogenannte Charakter ist lediglich der äussere Widerschein dieser inneren Überzeugungen.

Viele Menschen empfinden das Zusammensein mit anderen als anstrengend, und meinen, sich von diesen alleine vor dem Fernseher, mit Musik, in der Natur oder in einer Meditation erholen zu müssen. Sie haben in ihren ersten Jahren die Menschen gegen sich erlebt und haben keinen gute Meinung von der Umwelt. Ihre Grundüberzeugungen sind zum Beispiel, dass man Angst haben muss, dass man nicht in Ruhe gelassen wird, dass andere einem immer Vorschriften machen wollen, dass man sich gegen Ansprüche der anderen wehren muss, dass man nur zufrieden sein kann, wenn andere auf einen eingehen, dass man andere immer gut stimmen oder immer bereitstehen muss usw..

Es gibt aber auch Menschen, die müssen sich nicht erholen, die finden die anderen Menschen nicht anstrengend. Sie konnten in den ersten Lebensjahren eine Weltvorstellung bilden, dass andere sich an einem freuen und es interessant ist, andere kennenzulernen, dass man verschiedene Meinungen haben kann und sich gut versteht oder dass es eine Genugtuung ist, sich mit dem anderen zu verbinden.

Was der Mensch in den ersten Lebensjahren erlebt und wie er diese Erlebnisse interpretiert und einordnet führen zu einem ganz individuellen Weltbild und Glaubenssätzen, denen er im Fühlen, Denken und Handeln unbewusst folgt. Dementsprechend erlebt man das Zusammenleben mit anderen freudig und am leicht oder anstrengend und schwer, auch wenn jeder gerne mit anderen gut auskommen möchte.

Gewinnt man Einblick in die oft falschen Auffassungen über sich und die anderen, kann man sich und die anderen besser verstehen lernen und merkt dann, dass auch der andere immer nur mit seiner unbewussten Weltsicht denkt, fühlt und handelt. Man wird dann interessierter am anderen und seinen zuerst unverständlichen Verhaltensweisen und kann so freundlicher gesinnt sein. Dieses Interesse am Gewordensein des anderen ergibt mehr Verbundenheit mit den Mitmenschen und macht deshalb glücklicher.

lic. phil. Diethelm Raff
Psychologe

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Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Viele Eltern und Lehrer verzweifeln, wenn ihre Kinder und Schüler trotz vieler Bemühungen, spezieller Förderung und schulpsychologischer Betreuung nicht gerne in die Schule gehen und nicht richtig lernen können. Die Lernprobleme sind oft hartnäckig, die Möglichkeiten und Fähigkeiten zu helfen scheinen ausgeschöpft, das psychologische Wissen ist zu gering, so dass viele fälschlicherweise meinen, es liege eine Krankheit oder ein schwer veränderliches Lerndefizit vor. Lernschwierigkeiten sind Ausdruck von unbewussten Gefühlshaltung, die ein Kind in den ersten Lebensjahren entwickelt hat.

Es kann passieren, dass ein Kind aufgrund seiner ersten Gefühlseindrücke meint, das Leben sei zu schwierig. Es versucht diesen Schwierigkeiten ausweichen und setzt deshalb alles daran, nicht lernen zu müssen. Versuchen die Eltern und Lehrer, es mit verschiedensten Motivationsmöglichkeiten zum Arbeiten zu bringen und verstehen die Tendenz des Kindes nicht, spezialisiert sich das Kind darauf, diese Ansprüche zu verhindern. Ein Kind will vielleicht vermeiden, dass es bei einem Fehler entdeckt wird, ein anderes versucht unbewusst, die Ansprüche von anderen erledigen zu lassen, ein drittes ist eifersüchtig und will vor allem sympathisch wirken, ein viertes strengt sich so an, dass es sich nicht mehr konzentrieren kann, ein fünftes fühlt sich zurückgesetzt, wenn der Lehrer sich nicht speziell auf sein Tempo einstellt und beklagt sich, weil er damit immer Gehör gefunden hat usw. Es gibt Kinder, die derart stark in ihre Gefühle verstrickt sind, dass sie keine andere Möglichkeit sehen, als sich der Schule ganz zu verweigern.

Die Schulverweigerung sowie alle Arten von Lern- und Konzentrationsprobleme sind dank psychologischem Wissen gut verstehbar. Es gilt die Gefühlslagen, unverstandene Lebensmuster, unbewusste Lebensziele und privatlogische Gangarten beziehungsweise Ausweichmanöver zu verstehen, die hinter Lernschwierigkeiten, Schulmüdigkeit und Schulverweigerung stehen. Mit diesem umfassenden Wissen ist es möglich, helfend einzugreifend.

lic. phil. Diethelm Raff

Psychologe

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Wie kann man Ärger und Wut verstehen?

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Alle kennen Ärger. Man kommt in Aufregung wegen kleinerer und grösserer Ungereimtheiten im Leben: Wenn die Ampel auf rot steht, wenn man an der Kasse warten muss, wenn der andere einen nicht versteht, wenn man etwas nicht findet und ähnliches. Manchmal wird man auch wütend.

Ärger und Wut sind interessante Phänomene, die psychologisch erklärbar sind. Wenn sich Menschen weniger ärgern wollen oder sich an ihrer Wut stören, dann können sie sich Hilfe holen und die Gründe verstehen lernen. Ärger und Wut entstehen immer aus einer unbewussten, inneren Haltung den Menschen und dem Leben gegenüber. Sie können behoben werden, wenn der Betroffene Geduld und Zeit aufbringt, seine individuellen Beweggründe erfassen zu lernen.

Bei einem kommt es zu solchen starken Gefühlsaufwallungen, weil er sich immer vom Leben gebremst fühlt. Er erlebte in seinen ersten Lebensjahren zum Beispiel, dass ein älteres Geschwister alles besser gewusst hat.

Eine andere fühlt sich ständig überfordert und wünscht, dass alles schneller gehen soll. Sie hat das Leben so kennengelernt, dass ihr ängstlicher Vater sie vor allen Schwierigkeiten beschützen wollte und vieles schnell löste, bevor sie merkte, dass sie es nicht konnte.

Ein dritter fühlt sich immer bezwungen, wenn ein anderer etwas anderes will als er selbst in dem Moment. Er hat das Leben so kennengelernt, dass die Eltern immer genau wussten, was er zu tun hatte und ihn wegen jeder Kleinigkeit kritisierten.

Eine vierte nervt sich, wenn sie weniger kann als jemand anderes. Sie fühlt sich ständig nicht ernst genommen. Sie hat als Kind das Ziel entwickelt, immer die Beste sein zu müssen.

Wenn es gelingt, nachzuvollziehen, aus welcher inneren Logik Ärger und Wut entspringen, dann kann man sich von diesen Gefühlen distanzieren und das Leben leichter gestalten.

 

lic. phil. Diethelm Raff
Psychologe

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Der Mensch ist erst durch den anderen

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Er ist nichts weniger als „Spezialist für die Psychologie der Gefühle“: Professor der Philosophie, Knut Eming, aus Heidelberg erklärte kürzlich in einem Vortrag, „Wie Gemeinschaft gelingen kann“.

„Nur weil wir andere Menschen haben, können wir merken, wer wir sind“ ist eine zentrale Aussage Knut Emings. Wir finden uns nicht, wenn wir uns in uns selbst suchen. Als soziale Lebewesen sind wir nicht Einzelgänger, die die Eigenständigkeit in sich selbst finden können. Wir brauchen immer den anderen Menschen, um uns selbst zu erkennen.

Leider, so Knut Eming, sind viele im Gefühl nicht nahe genug beim anderen Menschen, fühlen sich nicht wohl genug und erleben das Zusammensein mit anderen zu sehr als Stress, als dass eine engere Verbundenheit und ein Gefühl von Gemeinschaft gelingen kann. Dies hat mit falschen Überzeugungen zu tun: Die anderen Menschen wurden dem Kind oft als Lebewesen vorgestellt, die dazu da sind, einen zu kritisieren, zu bremsen und zu konkurrieren. Oder andere erlebten schon früh, dass die anderen einem nur dann wohlgesonnen sind, wenn sie auf jeden Wunsch eingehen, jedes Gefühl beachten und immer lustig sind. Wenn dieses erwartete Setting sich nicht wiederholt, fühlen sie sich unverstanden, sind leicht säuerlich oder beklagen sich offen oder versteckt.

Menschliche Gemeinschaft kann sich wegen solcher falschen Meinungen und Umwegen nicht so breit entfalten, wie sie es eigentlich von Natur aus könnte, erklärte Knut Eming. Die Gefühlsmöglichkeiten seien oft noch so eingeschränkt, dass wenig freundschaftliche Gefühle möglich sind. Freundschaft braucht es aber, um frei und eigenständig zusammenleben zu können, nicht nur in kleinen Gemeinschaften, sondern in allen Gesellschaften. „Der Mensch leidet dann darunter, dass er sich nicht zusammen gesellen kann.“ Der Ausweg besteht laut dem Referenten darin, seine Gefühlsirrtümer in Bezug auf die anderen Menschen zu erkennen.

Es brauche heute mehr Institutionen, in denen die gleichwertige und freundschaftliche Verbundenheit mit anderen gelehrt und erlebt werden kann. „Die Wandlung der störenden Gefühle in Bezug auf die Mitmenschen ist dann möglich, wenn der einzelne in einer Gemeinschaft auf Zeit merkt, dass er ablehnende Gefühle gegenüber den Mitmenschen nicht verstecken muss, sondern als verfehlte Meinung über sich selbst und andere verstehen lernen kann.“ Dazu gehört zu erleben, dass man nicht nur von ein paar wenigen verstanden werden kann, sondern von vielen.

„Solche Gemeinschaften machen auf eine Art öffentlich, was jeder zu verstecken meint. Sie sind wie Diamanten, die einen Ausblick verschaffen, wie die Zentrierung auf das eigene Wohl als Gegensatz zum Gemeinwohl überwunden werden kann. Man erkennt in solchen Gemeinschaften, dass es einem selber am besten geht, wenn man den Mitmenschen nah verbunden ist.“, erklärte Professor Knut Eming. Wenn sich der einzelne unter anderen Menschen besser zurechtfinden lernt und sich wohl fühlen kann, wird es besser möglich, mit anderen ohne Stress zusammen zu sein. Dann kann man auch positiver den anderen gegenübertreten, leichter in Vereinigungen und Vereinen mitmachen, das Wohl der Gesamtheit gerne mitdenken und mit allen Menschen mitfühlen.

Diethelm Raff
Psychologe

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Depressionen verstehen

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20 bis 25% der Bevölkerung erleiden im Lauf ihres Lebens mindestens einmal eine depressive Episode, welche die Lebensqualität ernsthaft einschränkt. Sie sind längere Zeit niedergeschlagen und freudlos, ohne Energie und Antrieb, stellen sich stark in Frage, fühlen sich minderwertig und wertlos, werden von Ängsten, Schuld- und Ohnmachtsgefühlen geplagt und können sich oft schlechter konzentrieren, denken und sich entscheiden. Dieser Zustand kann auch Gefühle der inneren Leere und Hoffnungslosigkeit beinhalten. Depressionen können heutzutage in einer Psychotherapie (teilweise begleitet von medikamentöser Behandlung) verstanden und behoben werden.

Der Zugang zu diesem Verständnis gelingt über die Betrachtung der individuellen Lebensgeschichte. In den ersten 5 bis 6 Lebensjahren entwickeln alle Menschen in der Beziehung zu ihren engsten Bezugspersonen ein Bild von sich selbst und der Welt. Der Erziehungsstil der Eltern, sowie deren Einstellung anderen Menschen gegenüber wirken auf das Kind, welches sich unbewusst aus diesen Eindrücken emotional und gedanklich Grundüberzeugungen aufbaut, nach denen es sein Leben einrichtet.

Erlebt das Kind in seinem ersten Beziehungsnetz eine wohlwollende, unterstützende und auf Gemeinschaft und Zusammenarbeit ausgerichtete Atmosphäre, kann es sich zu einem mutigen und gleichwertigen Mitmenschen entwickeln, der dem Leben zuversichtlich entgegensieht. Wird es jedoch durch Lieblosigkeit, Strenge, Vernachlässigung, oder auch Verzärtelung und Verwöhnung seelisch ungenügend für das Leben ausgerüstet, wird es bei grösseren Schwierigkeiten im späteren Leben vor den Anforderungen zurückschrecken und unbewusst nach einem Ausweg suchen, den es schon in seinen ersten Lebensjahren eingeübt hat. Dieser kann sich z.B. in Unruhe, Nervosität, Ängsten, Phantasien, Aggressionen oder eben auch in depressiven Gefühlen äussern.

Depressionen sind also eine unbewusste Antwort auf eine Lebenssituation, von der man glaubt, dass man sie im Rahmen seiner erworbenen Vorstellungen des Lebens nicht bewältigen kann. Wenn es in einer vertrauensvollen Beziehung gelingt, seine innere Gefühlslogik zu verstehen, kann man die Depression überwinden und eine realistischere Betrachtungs- und Bewältigungsweise des Lebens emotional verankern.

lic. phil. Diethelm Raff
Psychologe

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Entstehung und Überwindung der Eifersucht

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Oft können wir die Eifersucht bei Kindern beobachten: Ein Kind nimmt seinem Freund das Spielzeug weg, weil es sich benachteiligt fühlt. Ein anderes Kind kann plötzlich nicht mehr mitspielen, weil ihm etwas weh tut, denn es glaubt, dass sein Geschwister zu sehr im Mittelpunkt steht. Ein drittes schreit laut oder wird hyperaktiv, wenn sich der Lehrer dem Klassenkollegen zuwendet. Ein viertes Kind zieht sich ganz still oder gar beleidigt in eine Ecke, wenn es nicht besonders hervorgehoben wird. Ein fünftes beschäftigt sich nur noch mit sich selbst und denkt nirgensd mit, weil es sicher ist, dass andere bevorzugt werden.

Es scheint für uns Erwachsene allerdings eine ungeschriebene Regel zu sein, dass Eifersucht ab einem gewissen Alter kein Thema mehr sein sollte. In Wirklichkeit aber spielen Eifersuchtsgefühle in vielen täglichen Situationen eine entscheidende Rolle. Sie können der Grund sein, warum es uns schwerfällt, uns zu einigen, uns zusammenzuschliessen, uns über das Glück von anderen zu freuen.

Viele glauben, dass sie im Vergleich zu anderen nicht genügen, fühlen sich schnell abgelehnt, sind sich sicher, dass andere bevorzugt werden und man selbst zu wenig Beachtung findet. Man sieht zwei Leute zusammenstehen und glaubt schon, dass diese nicht wollen, dass man dabei ist. Man vergleicht sich ständig, verurteilt, was andere versuchen, setzt sich davon ab, muss darstellen, dass die Leistung von anderen doch nicht so grossartig ist, wie man glaubt.

Solche Eifersuchtsgefühle können dann zu Reaktionen führen wie Trauer, Abneigung, Vorwurfshaltungen, Besserwisserei, Rückzug, Streit, oder Strenge. Es sind Gefühle, die uns in unserer eigenen Entwicklung hemmen, denn wir können dann schwerer oder gar nicht mit den anderen zusammenarbeiten, mitreden und mitgestalten. Wenn wir uns mit diesen Gefühlen auseinandersetzen und sie verstehen lernen, müssen wir sie nicht verurteilen. Wir verstehen dann, dass Eifersucht ein nagendes Schwächegefühl ist. Diese Unsicherheit lässt sich auflösen, indem wir erfahren, welchen Sinn dieses Gefühls in der eigenen Entwicklung hatte und welche unbewussten Ziele damit verbunden sind. Wenn wir für andere wichtig werden, indem wir uns in sie hineinversetzen und uns aktiv verbinden, wird die Eifersucht gelindert oder verschwindet.

lic. phil. Diethelm Raff
Psychologe
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